Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehörte eine möglichst enge Anbindung der zum Bürgermeisteramt gehörenden Gemeinden an die Kernstadt zu den wichtigsten Zielen der Wittener Kommunalpolitik. Vor diesem Hintergrund engagierte sich der Wittener Bürgermeister Dr. Gustav Haarmann (1848 – 1911) seit Mitte der 1890er-Jahre für den Aufbau eines Straßenbahnnetzes.
Am 12. Juli 1895 trafen sich Vertreter der Bürgermeisterei Witten sowie der Gemeinden Langendreer, Werne, Annen und Bommern zu einem ersten Gespräch, in dessen Verlauf die Grundzüge des späteren Wittener Straßenbahnnetzes festgelegt wurden.
Um die Sache voranzutreiben und einen privaten Investor für das Projekt zu finden, wurde eine Straßenbahnkommission gegründet. Anders als in Bochum und Gelsenkirchen gab es jedoch kein privatwirtschaftlich aufgestelltes Unternehmen, das ein Eigeninteresse am Bau und Betrieb eines Straßenbahnnetzes in Witten gehabt hätte. Vor diesem Hintergrund kam man am 3. November 1896 überein, die Strecken in Eigenregie auf Kosten der Gemeinden zu bauen. Über eine öffentliche Ausschreibung sollte ein Unternehmen gefunden werden, das bereit war, die Strecken zu erstellen und im Auftrag der Gemeinden auf Basis eines Pachtvertrages zu betreiben.
Der dazu im Spätsommer 1897 von den Gemeinden Witten, Langendreer, Annen und Bommern geschlossene Vertrag sah den Bau von zwei Hauptachsen vor: einer Strecke von Bommern über Witten, Langendreer und Lütgendortmund nach Castrop und einer Strecke vom Bergisch-Märkischen Bahnhof über Annen nach Rüdinghausen. Stichstrecken sollten vom Dorfkern Langendreer zum Bahnhof Langendreer, vom Bahnhof Langendreer nach Uemmingen und vom Bahnhof Langendreer über die Gemeinde Werne nach Lütgendortmund führen.
Die von Oskar Ludwig Kummer (1848 – 1912) gegründete Aktiengesellschaft Elektricitätswerke (vorm. O. L. Kummer & Co.) aus Dresden-Niedersedlitz, abgekürzt A.-G. Elektricitätswerke, legte das günstigste Angebot für den Bau und späteren Betrieb der Bahn vor. Ihr wurde im Juli 1897 der Auftrag zur Herstellung der Anlagen erteilt. Der Firmengründer war insbesondere auf dem Gebiet der elektrischen Krafterzeugung und im Bereich der Elektromotoren und Fahrschalter für Eisen- und Straßenbahnen höchst innovativ. Sein Unternehmen beschäftigte rund 2.000 Mitarbeitende und war damit der größte Arbeitgeber in Sachsen.
Die Bauarbeiten begannen im Oktober 1897. Ausgangspunkt war ein Baulager auf dem Gelände des späteren Betriebshofes Witten an der Crengeldanzstraße. Ab Anfang 1898 wurden in Dresden die für den Betrieb der Märkischen Straßenbahn benötigten Motor- und Anhängewagen gebaut.
Der Pachtvertrag für den Betrieb des Wittener Straßenbahnnetzes wurde am 12. Dezember 1898 von der A.-G. Elektricitätswerke in Dresden und am 31. Dezember 1898 vom Magistrat der Stadt Witten unterzeichnet. Die Laufzeit betrug 15 Jahre und verpflichtete die A.-G. Elektricitätswerke, Jahrespacht in Höhe von fünf Prozent des Anlagekapitals zu zahlen. Zugleich sollte jährlich ein Betrag in Höhe von 3,5 Prozent des in die Betriebsanlagen investierten Anlagekapitals in die Bildung eines Erneuerungsfonds fließen.
Die Gemeinden Laer und Lütgendortmund traten dem kommunalen Zweckbündnis der Märkischen Straßenbahn am 24. November 1899 und am 8. Februar 1901 bei. Damit verbunden war der Auftrag, das Netz in Lütgendortmund bis zum Bahnhof und in Uemmingen bis zur Grenze nach Laer zu verlängern.
Fortan waren die Stadt Witten mit 40 Prozent, Langendreer mit 14 Prozent, Werne mit 12 Prozent, Annen, Bommern und Lütgendortmund mit jeweils 10 Prozent und Laer mit 4 Prozent an der Märkischen Straßenbahn beteiligt. Der Kapitalstock der Gesellschaft betrug 2,75 Millionen Mark.
SCHNELLER KONKURS
Bereits nach einem Jahr konnten die ersten Strecken eröffnet werden. Am 15. Juni 1901 jedoch musste die A.-G. Elektricitätswerke Konkurs anmelden. Die Gesellschaft konnte die vereinbarten Pachtzinsen nicht aufbringen. Ebenso war es nicht möglich, die vereinbarte Rücklage für den Erneuerungsfond zu bilden.
Zum Konkurs beigetragen hatten eine Reihe kostspieliger Projekte. Neben der Märkischen Straßenbahn waren dies der Bau des Elektrizitätswerkes Niederlößnitz, der auf eigene Kosten für den Arbeitertransport vorangetriebene Bau der Dresdener Vorortbahn sowie der Bau der Lokalbahn Murnau – Oberammergau (1897 – 1900).
Nach dem Konkurs waren die an der Märkischen Straßenbahn beteiligten Gemeinden gezwungen, ab dem 1. Oktober 1901 den Betrieb der Straßenbahn in eigener Regie zu übernehmen.
Nach Einschätzung von Ferdinand Schöningh war der Weg in die Insolvenz bereits im Gründungsprozess der Märkischen Straßenbahn vorauszusehen: „Dieser Zweck und der indirekte Erfolg“, damit war die Anbindung der Landgemeinden an Witten gemeint, „muss vorläufig die schlechten Betriebsergebnisse ersetzen, denn vom Standpunkt der Rentabilität aus hätte man sonst die Außenstrecken nicht gebaut. … In der Zukunft ist allerdings zu erwarten, dass die reinen Überlandstrecken verschwinden, und namentlich auf der Strecke nach Castrop rechnet man auf eine zunehmende Besiedlung, da hier mehrere neue Zechen im Entstehen sind.“
REPARATURARBEITEN
Kurz nach der Betriebsaufnahme stellte sich bereits heraus, dass das von der A.-G. Elektricitätswerke gestellte Rollmaterial den Anforderungen des Überlandbetriebes kaum gewachsen waren. Bereits im Jahr 1900 wurden größere Reparaturen notwendig.
Die schnelle Verlegung der ohnehin recht schwach ausgeführten Gleise machte sich ebenfalls bemerkbar.
Die Einnahmen der Märkischen Straßenbahn konnten die Kosten nicht decken. Dies insbesondere deshalb, weil Arbeiterverkehre, mit denen man bei der Konzeption der Gesellschaft gerechnet hatte, weitgehend ausblieben. Sowohl Industriearbeiter als auch Bergleute wohnten in unmittelbarer Nähe ihrer Arbeitsstätten und hatten damit keine Veranlassung, mit der Straßenbahn zu fahren.
BLEIBENDE PROBLEME
Die Strukturprobleme der Märkischen Straßenbahn konnten auch mit Nebengeschäften wie Stromlieferungen an die Eisenbahn nicht kompensiert werden. Ebenso trugen die erwarteten Neuansiedlungen weiterer Zechen nicht nachhaltig zum Erfolg bei.
Die wirtschaftliche Schieflage der Märkischen Straßenbahn war so extrem, dass so unerwartete Ereignisse wie die verheerende Explosion der Roburit-Fabrik in Annen am 28. November 1906 notwendig waren, um ein besseres Ergebnis zu erzielen: „In diesem Jahre“, so Ferdinand Schöningh, „brachte der durch die furchtbare Roburit-Explosion in Annen herbeigelockte Verkehr eine nicht unbedeutende Mehreinnahme, die sich namentlich in der ersten Dezemberwoche bemerkbar machte. … Während sonst der Sonntagsverkehr durchschnittlich im Jahre 1906 2.500 Mark einbrachte, stieg diese Summe am ersten Sonntag nach der Explosion auf 4.655 Mark.“
Ferdinand Schöningh kommt in seiner Dissertation bereits 1911 im Hinblick auf die Straßenbahn in Witten zu einem nüchternen Ergebnis: „Im Allgemeinen aber ist in der Zukunft, abgesehen von der normalen Zunahme, auf einen starken Fortschritt nicht zu rechnen, da die industrielle Entwicklung im Wittener Gebiet fast stillsteht.“